Beschluss 3 BvE 2/20

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Das Oberste Gericht entschied in seinem Beschluss 3 BvE 2/20 vom 14.12.2020, dass die Anträge der Bundestagsabgeordneten Emilia von Lotterleben unzulässig sind.

Begründet wurde dies damit, dass da die Antragstellerin nicht antragsbefugt ist. Es liege keine Möglichkeit einer Einschränkung ihrer als Bundestagsabgeordnete durch das Grundgesetz gegebenen Rechte vor. Die Antragstellerin bediene sich zudem der Organklage um die Verfassungsmäßigkeit eines bestimmten Handeln des Antragsgegners zu überprüfen, ohne dabei auf eine mögliche Verletzung ihres Abgeordnetenstatus einzugehen, wofür im Organstreitverfahren kein Raum sei. Das Verpflichten des Antragstellers zu einer bestimmten Handlung könne im Organstreitverfahren dazu auch nicht erzielt werden.


Verfahrensbeteiligte

Antragsteller Antragsgegner
Emilia von Lotterleben, MdB Präsident des Deutschen Bundestages Felix Neuheimer


Urteil des Obersten Gerichtes


OBERSTES GERICHT


– 3 BvE 2/20 –



IM NAMEN DES VOLKES



In dem Verfahren
über die Anträge




der Frau Emilia von Lotterleben, MdB



1. festzustellen, dass der zweite Wahlgang der Bundeskanzlerwahl vom Dezember 2020 im Deutschen Bundestag ungültig war,

2. anzuordnen, dass der zweite Wahlgang der Bundeskanzlerwahl vom Dezember 2020 im Deutschen Bundestag unter Ausschluss der ungültigen Wahlvorschläge zu wiederholen ist,


und auf Erlass einer einstweiligen Anordnung



Antragsgegner:

Präsident des Deutschen Bundestages
Platz der Republik 1, 11011 Berlin,



hat das Oberste Gericht – Dritter Senat –

unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter


Präsident Brandstätter,


Vizepräsidentin Baumgärtner



am 14. Dezember 2020 gemäß § 12 Abs. 4 S. 1 OGG einstimmig beschlossen:



1. Die Anträge werden als unzulässig verworfen.


2. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.



G r ü n d e :


Gegenstand des Organstreitverfahrens ist das Handeln des Antragsgegners in seiner Stellung als Präsident des Deutschen Bundestages im Zuge des zweiten Wahlganges der Bundeskanzlerwahl im Deutschen Bundestag vom Dezember 2020.



A.


Die Antragstellerin ist der Meinung, der zweite Wahlgang der Bundeskanzlerwahl vom Dezember 2020 im Deutschen Bundestag sei ungültig, da unzulässige Kandidaten zur Wahl gestanden hätten.


1. Wahlvorschläge und Kandidaturen seien im Zuge der Wahl des Bundeskanzlers durch eine Fraktion einzubringen. Die Gründung einer Fraktion bedürfe gem. § 6 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages einer schriftlichen Mitteilung an das Präsidium des Deutschen Bundestages.


2. Der Wahlvorschlag "Nils Neuheimer" sei durch das Liberale Forum eingebracht worden. Es habe jedoch zum Zeitpunkt der Einreichung des Wahlvorschlages keine Fraktion des Liberalen Forums existiert, da keine schriftliche Mitteilung an das Bundestagspräsidium über die Konstituierung einer solchen Fraktion erfolgt habe. Der Wahlvorschlag sein somit ungültig.





B.


Die Anträge sind mangels Antragsbefugnis unzulässig.



I.


1. Die verfassungsgerichtliche Prüfung ist im Organstreitverfahren auf den durch den Antrag umschriebenen Verfahrensgegenstand beschränkt. Allerdings ist das Oberste Gericht bei der Auslegung von Anträgen nicht an deren Wortlaut gebunden. Entscheidend ist vielmehr der eigentliche Sinn des mit einem Antrag verfolgten prozessualen Begehrens (vgl. BVerfGE 68, 1 <68>; 129, 356 <364>). Dieser kann sich auch aus der Antragsbegründung ergeben (vgl. BVerfGE 68, 1 <64>; 136, 277 <301 f. Rn. 66>).



2. Gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Nr. 5 und § 19 OGG entscheidet das Oberste Gericht über die Auslegung des Grundgesetzes aus Anlass von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch dieses Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind.


a) Ein Antrag im Organstreitverfahren ist gemäß § 19 Abs. 2 S. 1 OGG nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, dass er oder das Organ, dem er angehört, durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist. Mit Rechten im Sinne des § 19 Abs. 2 S. 1 OGG sind allein diejenigen Rechte gemeint, die dem Antragsteller zur ausschließlich eigenen Wahrnehmung oder zur Mitwirkung übertragen sind oder deren Beachtung erforderlich ist, um die Wahrnehmung seiner Kompetenzen und die Gültigkeit seiner Akte zu gewährleisten (vgl. BVerfGE 68, 1 <73>).


b) Bei dem Organstreit handelt es sich um eine kontradiktorische Parteistreitigkeit (vgl. BVerfGE 126, 55 <67>; 138, 256 <258 f. Rn. 4>); er dient maßgeblich der gegenseitigen Abgrenzung der Kompetenzen von Verfassungsorganen oder ihren Teilen in einem Verfassungsrechtsverhältnis, nicht hingegen der Kontrolle der objektiven Verfassungsmäßigkeit eines bestimmten Organhandelns (vgl. BVerfGE 104, 151 <193 f.>; 118, 244 <257>; 126, 55 <67 f.>; 140, 1 <21 f. Rn. 58>; 143, 1 <8 Rn. 29>; stRspr). Kern des Organstreitverfahrens ist auf Seiten des Antragstellers die Durchsetzung von Rechten (vgl. Lenz/Hansel, BVerfGG, 2. Aufl. 2015, § 64 Rn. 19; vgl. auch BVerfGE 67, 100 <126>; 124, 78 <113>; 143, 101 <132 Rn. 104>). Der Organstreit eröffnet daher nicht die Möglichkeit einer objektiven Beanstandungsklage (vgl. BVerfGE 118, 277 <319>; 126, 55 <68>; 138, 256 <259 Rn. 5>; 140, 1 <21 f. Rn. 58>). Für eine allgemeine oder umfassende, von eigenen Rechten des Antragstellers losgelöste, abstrakte Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit einer angegriffenen Maßnahme ist im Organstreit kein Raum (vgl. BVerfGE 73, 1 <30>; 80, 188 <212>; 104, 151 <193 f.>; 118, 277 <318 f.>; 136, 190 <192 Rn. 5>). Das Grundgesetz kennt keinen allgemeinen Gesetzes- oder Verfassungsvollziehungsanspruch, auf den die Organklage gestützt werden könnte (vgl. Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 64 Rn. 63 [Januar 2017]). Auch eine Respektierung sonstigen (Verfassungs-) Rechts kann im Organstreit nicht erzwungen werden; er dient allein dem Schutz der Rechte der Staatsorgane im Verhältnis zueinander, nicht aber einer allgemeinen Verfassungsaufsicht (vgl. BVerfGE 100, 266 <268>; 118, 277 <319>).



3. Für die Zulässigkeit eines Organstreitverfahrens erforderlich, aber auch ausreichend ist es, dass die von dem Antragsteller behauptete Verletzung oder unmittelbare Gefährdung seiner verfassungsmäßigen Rechte unter Beachtung der vom Bundesverfassungsgericht/Obersten Gericht entwickelten Maßstäbe nach dem vorgetragenen Sachverhalt möglich erscheint (vgl. BVerfGE 138, 256 <259 Rn. 6>; 140, 1 <21 f. Rn. 58>; stRspr).



4. Das Oberste Gericht stellt im Organstreit lediglich fest, ob die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung gegen eine Bestimmung des Grundgesetzes verstößt. Es obliegt sodann dem jeweiligen Staatsorgan selbst, einen festgestellten verfassungswidrigen Zustand zu beenden (vgl. BVerfGE 85, 264 <326>). Kassatorische oder rechtsgestaltende Wirkung kommt der Entscheidung im Organstreit nicht zu (vgl. BVerfGE 136, 277 <301 Rn. 64>; 138, 125 <131 Rn. 19>; Barczak, in: ders., BVerfGG, 2018, § 67 Rn. 4). Ebenso ist für eine über die Feststellung einer Verletzung der Rechte des Antragstellers hinausgehende Verpflichtung des Antragsgegners zu einem bestimmten Verhalten im Organstreit grundsätzlich kein Raum (vgl. BVerfGE 124, 161 <188>; 136, 277 <301 Rn. 64>; Barczak, in: ders., BVerfGG, 2018, § 67 Rn. 4; Lenz/Hansel, BVerfGG, 2. Aufl. 2015, § 67 Rn. 4).




II.


Nach diesen Maßstäben haben die Anträge keinen Erfolg. Der Anforderung, dass die von der Antragstellerin behauptete Verletzung oder unmittelbare Gefährdung ihrer verfassungsmäßigen Rechte zumindest möglich erscheint, werden die formulierten Anträge nicht gerecht (1.). Dazu bedient sich die Antragstellerin im Antrag zu 1. der Organklage, um die Verfassungsmäßigkeit eines bestimmten Handeln des Antragsgegners zu überprüfen, ohne dabei auf eine mögliche Verletzung ihres Abgeordnetenstatus einzugehen, wofür im Organstreitverfahren kein Raum ist (2.). Der Antrag zu 2. ist hingegen darauf gerichtet, den Antragsgegner zu einem bestimmten Verhalten zu verpflichten. Dieses begehrte Rechtsschutzziel kann jedoch im Organstreitverfahren nicht erwirkt werden (3.). Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Organstreitverfahren nach § 6 Abs. 1 Nr 5 OGG, Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG sind somit nicht gegeben, da die Antragstellerin hinsichtlich beider Anträge nicht antragsbefugt ist.



1. Die Antragstellerin kann nicht geltend machen, in den ihr durch das Grundgesetz aufgrund ihrer Stellung als Bundestagsabgeordnete gegebenen Rechte verletzt oder unmittelbar gefährdet zu sein. In Frage kämen hierbei im vorliegenden Fall die sich aus Art. 38 Abs. 2 S. 2 GG ergebenen Rechte. Die Antragstellerin nennt jedoch weder das Recht, in dem sie durch das Handeln oder Unterlassen des Antragsgegners verletzt sein soll, noch lässt sich der Antragsbegründung ein entsprechendes Recht im Kontext mit dem verfolgten prozessualen Begehren entnehmen. Weiter ist auch nicht erkennbar, dass zumindest die Möglichkeit einer solchen Rechtsverletzung besteht, was die Minimalanforderungen für die Gegebenheit der Antragsbefugnis der Antragstellerin darstellt. An der Antragsbefugnis der Antragstellerin hinsichtlich beider Anträge ermangelt es daher insbesondere, da keine Verletzung ihrer durch das Grundgesetz zugestandenen Rechte möglich erscheint.



2. Das Organstreitverfahren dient nicht der allgemeinen Verfassungsaufsicht, sondern der Abgrenzung der Kompetenzbereiche der Verfassungsorgane (a). Dieser Voraussetzung wird der Antrag zu 1. nicht gerecht. Er ist somit unzulässig (b).


a) Die Antragstellerin beantragt im Antrag zu 1. die Unzulässigkeit des zweiten Wahlgangs der Bundeskanzlerwahl festzustellen. Dabei begehrt sie festzustellen, dass das Handeln des Antragsgegners unzulässig war. Im Organstreitverfahren ist aber gerade für eine solche Kontrolle der objektiven Verfassungsmäßigkeit eines bestimmten Organhandelns kein Raum. Der Organstreit dient viel mehr der Definition der Abgrenzungen der Kompetenzen der Verfassungsorgane und dient nicht der allgemeinen Verfassungsaufsicht.


b) Als Voraussetzung für die Zulässigkeit der Organklage ist folglich im vorliegenden Fall eine mögliche Kompetenzüberschreitung, welche in einer Verletzung der Statusrechte der Antragstellerin resultiert zu definieren. Diese Voraussetzung ist jedoch offensichtlich nicht gegeben, da die Antragstellerin die Einleitung des Wahlganges durch den Antragsteller an sich angreift. Dies liegt jedoch aufgrund seiner Stellung als Präsident des Deutschen Bundestages offensichtlich in seinem Kompetenzbereich. Eine Überschreitung der Kompetenzen des Antragsgegners erscheint somit im vorliegenden Fall offensichtlich auch nicht möglich.



3. Mit dem Antrag zu 2. begehrt die Antragstellerin, den Antragsgegner zu verpflichten, den zweiten Wahlgang der Bundeskanzlerwahl unter Ausschluss der mutmaßlich ungültigen Kandidaten zu wiederholen. Der Antrag ist also in der Sache darauf gerichtet, ein Verfassungsorgan zu einer gewissen Handlung zu verpflichten. Für eine derartige Anordnung ist im Organstreit allerdings kein Raum, da eine entsprechende Rechtsfolge nicht bewirkt werden kann. Das Organstreitverfahren dient lediglich der Feststellung, dass die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners gegen eine Bestimmung des Grundgesetzes verstößt. Die Aufhebung einer bestimmten Maßnahme bzw. ihre Nichtigerklärung kann im Organstreitverfahren ebenso nicht erwirkt werden, wie die Verpflichtung des Antragsgegners zu einem bestimmten Handeln. Die Organklage kann folglich nicht der Erzwingung der Respektierung von (Verfassungs-) Recht durch die bei der Organklage Beteiligtenfähigen dienen. Der Antrag zu 2. ist somit unzulässig.



C.


Mit der Entscheidung in der Hauptsache erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.




D.


Die Entscheidung erging gem. § 12 Abs. 4 S. 1 OGG einstimmig, wobei lediglich zwei Richter an dem Verfahren mitgewirkt haben.




Brandstätter | Baumgärtner


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